Kostas Drakos
Herr Kostas Afentakis wurde gerufen, als in Plaka auf Milos ein Übersetzer gesucht wurde, der im Notariat dem jungen deutschen Käufer eines kleinen Grundstückes in Pollonia den Kaufvertrag erklären sollte.
So lernte ich den alten Herren kennen und begegnete jemand, der sich von den anderen Leuten dieser Insel unterschied und umso faszinierender wurde, je näher ich ihm kam. Es war der Beginn einer Freundschaft, die erst durch seinen Tod Jahre später beendet wurde. Kosta sprach 7 Sprachen - mehr oder weniger gut - und er war stolz darauf. Für eine Schweizer Firma war er als Techniker in der Welt herumgekommen und seine Geschichten aus Paris waren genauso anschaulich und spannend wie die aus Südamerika oder Italien, immer vorgetragen mit einer Verschmitztheit, die der Fantasie des Zuhörers noch Raum gab.
Seine Weltoffenheit gepaart mit einer großen Gastfreundschaft machte es ihm leicht, auf Menschen zuzugehen, gerade auch auf Ausländer, denen er auf Milos begegnete. So durfte ich mit ihm die erste Languste meines Lebens genießen, zu der er mich in sein Haus in Plaka eingeladen hatte, wo er mit seiner Cousine Tita, - die vielleicht doch nicht seine Cousine war - und etwa 20 Katzen wohnte.
Bei solchen Gelegenheiten blieb es nicht aus, dass er anfing, aus seinem Leben zu erzählen, wobei die Geschichten, die sich nach seiner Heimkehr aus der Welt nach Milos ereignet hatten für uns, seine Zuhörer, immer die interessantesten waren, weil manche unglaublich erschienen und doch immer wieder bestätigt wurden durch andere Leute, die an Kostas Leben in irgendeiner Weise teilgenommen hatten.
Als er aus dem Ausland zurückkam, hatte er einiges Geld zurückgelegt, welches er in englischen Goldpfunden nach Milos brachte. Es muß Ende der dreißiger Jahre gewesen sein, als er sich vom Bootsbauer in Plaka ein 5 m langes Holzkaiki bauen ließ, das er mit einem englischen 5 PS Petter-Diesel ausrüstete, den er - darüber sprach er gerne - für 80 Goldpfund in Piräus gekauft hatte. Es war das erste motorisierte Boot dieser Art auf Milos und Kostas wollte fischen gehen, das Meer bezwingen. Und seine See- und Fischfahrten wurden Legende.
Er fuhr hinaus bei jedem Wetter, das Boot war so entworfen, dass bei schwerer See kein Wasser eindringen konnte und das Sitzloch, aus dem er steuerte, gut gedichtet war. Sein Originalton: wenn Wetter gut: Boot. Wenn Sturm: U-Boot. Er fischte nur mit der Schleppangel. Einfache, bunt bemalte künstliche Köderfische gab es zu kaufen oder er konstruierte sie selbst. Nie ließ er sie jemand sehen und noch mehr Geheimnis machte er um die selbstgegossenen Schnurbleie, in deren perfekter Funktion er einen Teil seiner großen Erfolge sah.
Zu sehen gab es für die Menschen die Beute: Zahnbrassen, Barsche, Thune, Großmakrelen, Haie. Man kannte und sah ihn in Adamas und Pollonia, in Folegandros und Sifnos. Einmal erlebte er 5 Wochen Dauersturm in der Anafi-Gegend. Ich selbst habe auf anderen Inseln Fischer getroffen, die ihm begegnet waren und sich an ihn erinnerten, den DRAKOS. Er wurde ein Fischer mit legendärem Ruf.
Den Namen Drakos (Drachen) hatte man ihm gegeben, weil sein Atem schwefelartig nach Knoblauch roch, wenn er nach langen Ausfahrten wieder unter Menschen kam. Auf See hatte er davon große Mengen verzehrt, der Kälte zu wehren und den Mut zu heben, neben Wein und Kuluria-Kringeln seine einzige Verpflegung. So kam er aus stürmischsten Wettern in die Häfen zurück, für viele Menschen unglaublich, und man hatte ihn manches Mal verlorengegeben.
In den schweren Zeiten des Krieges, der deutschen Besatzung und anschließendem Bürgerkrieg hat er manch darbender Familie eine Sinagrida auf den Tisch gelegt. Nie verkaufte er seine Fische, das hatte er nicht nötig, er verschenkte sie hier und da und bekam dafür Öl und Honig. Er galt als wohlhabend und es wurde von seinen Schätzen gemunkelt. Weder in Kleidung, noch im Auftreten verriet er dies, war freundlich zu jedermann. Allerdings stand ihm der Schalk ins Gesicht geschrieben und seine hellblauen Augen blitzten beim Gespräch.
Seine Mutter hatte ihn ermahnt, sich nicht nur in seinen einfachen Fischer-Kleidern den Menschen zu zeigen. Schließlich hatte er es im Ausland zu etwas gebracht und besaß schöne Hemden und Anzüge, warum nur blieben sie immer im Schrank? Also lud Kosta Drakos all seine schöne Garderobe auf eine Stange, schulterte sie und trug sie durch Plaka, damit die Leute sie sehen konnten und stellte damit (hoffentlich) auch seine Mutter zufrieden. Es schien ihm eine Lust zu sein, die Menschen zu verblüffen. Seine Leidenschaft war, scheinbar Unmögliches zu wagen; seine Freude, Geheimnisse zu haben und zu bewahren.
Nachdem ein Bekannter ihn lange bedrängt hatte, einmal aufs Meer mitfahren zu dürfen (Drakos fuhr immer allein und er argwöhnte Neugier, die ihm missfiel), willigte er schließlich ein, aber nach 2 Tagen ereignisloser und absichtlich fischloser Seefahrt am abgelegenen Antimilos bat der Bekannte schließlich händeringend, wieder an Land gebracht zu werden. Man hatte über die Dauer der Fahrt nicht gesprochen und der Mitfahrer hatte weder zu essen, noch zu trinken eingepackt. Und Kostas Wein und Knoblauch reichte nur für ihn selbst...
Einmal hatten ihm größere Haie das Angelzeug zerrissen, woraufhin Drakos eine besonders stabile Schnur mit großen Haihaken konstruierte und damit schließlich einen der Haie haken konnte, einen, der viel zu gefährlich war, ihn an Bord zu nehmen. (Den Ängstlichen sei hier gesagt, daß ich selbst in 35 Jahren Seefahrt, noch keinen großen Hai gesehen habe). In stundenlanger, langsamer Fahrt, wiederum von Antimilos, schleppte er ihn außenbords nach Adamas hinein und landete ihn am Strändchen, an dem später Luluka ihr Kafenion hatte. Er übergab ihn der wartenden Menge, die damals hungerte. Die Leute töteten und schlachteten den Hai und mancher wurde satt von seinem Fleisch. Überliefert ist, daß in Adamas vielen Menschen bald darauf die Haare ausfielen, Schnurrbärte und Augenbrauen sich lichteten. Betroffen waren alle, die vom Haifleisch gegessen hatte. Dies war zwar dem Drakos nicht direkt anzulasten, war aber eine der skurrilen Geschichten, die man über ihn erzählte. Er selbst vermutete, daß ein im Haimagen gefundener großer Stechrochen vielleicht dessen Fleisch vergiftet hätte...
Einmal kam er aus tobender See in den Pollonia-Hafen, begab sich hungrig in die Taverne von Kiria Flora und bestellte ein Omelett. Aus 2 oder 3 Eiern? Aus dreißig! Drakos hatte bestellt und aß das Omelett aus dreißig Eiern. Diese Geschichte hat Flora mir selbst erzählt.
Nachdem er sich und den Menschen auf Milos bewiesen hatte, wie dem Meer mit Mut und Ideen seine Schätze abgewonnen werden können, als aus Neugier Routine geworden war, verkaufte er sein Kaiki nach Kimolos und wandte sich neuen Herausforderungen zu. Er erwarb einen steinigen Hang auf Chalakas und beschloß, dort einen Garten anzulegen, was ihm wiederum Kopfschütteln jener eintrug, die von Landbau etwas verstanden und Kostas wußte zu dem Zeitpunkt davon nichts. Aber er hatte eine Vision und es gelang ihm, mit Erfindungsgabe und Pioniergeist auf dem felsigen Grund Feigenbäume und Olivenbäume zu pflanzen und am Leben zu erhalten, Pistazien zu ernten und ein Weinfeld anzulegen, auf dem unter anderem jene roten Trauben wuchsen, deren süßen, schweren Wein er nur seinen besten Freunden anbot, wovon es dank seines großen Herzens doch nicht so wenige gab. Wenn man das Glück hatte, von ihm nach Chalakas eingeladen zu werden und man mit Bootsmann Nikolo glücklich von Adamas übergesetzt hatte, konnte man sich schon auf ein paar Gläschen des aromatischen, berauschenden Getränks freuen. Bei solchen Gelegenheiten setzte er auch seine Drakos-Fahne, die seine Anwesenheit kündete.
Er hatte ein einfaches Felssteinhaus bauen lassen, in dem zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, außer ihm nur eine Bande von mindestens 20 Katzen hauste, die er regelmäßig mit Nahrung versorgte und der er interessante großvolumige Nudel-Fisch-Käse-Terrinen zubereitete. Einmal ließ er 2 junge Französinnen dort wohnen, die dort ohne Strom und fließendes Wasser ein paradiesisches Jahr zubrachten und sich aus dem Garten ernährten, den sie neben dem Haus angelegt hatten. Ihnen, sagt Reinhard, soll er das Versteck mit seinem Goldschatz verraten haben. Daß es Goldpfunde gab, bestätigt unser Freund Janni aus Berlin, den Kostas für die aus Deutschland mitgebrachten "Geriatric Farmaka" damit bezahlte und sie noch heute in seiner Schatulle hat.
Kostas hatte sich in den Kopf gesetzt, im hohen Alter noch ein Kind zu zeugen. Wir müssen hier offen lassen, ob aus diesen Plänen etwas wurde, weil es nicht Teil unseres Wissens ist. Später stellte der berühmte Bootfahrer Nikolo aus Altersgründen den Verkehr über den Golf von Milos ein und dessen Schicksal wollte es, dass er nachts in den Swimmingpool des Hotels Venus Village hineinstolperte und ertrank. Kostas Drakos wurde mit zunehmendem Alter etwas wirr im Kopf und mit etwa 80 Jahren ging er sozusagen von uns. Alsbald setzte ein Wettlauf ein Richtung Chalakas ein, wo viele sein Gold vermuteten. Ich gebe zu, daß ich selbst einem eifrigen Gräber aus Adamas damals die Betriebsanleitung für einen Metalldetektor aus dem Englischen ins Griechische übersetzt habe. Bald war in Drakos paradiesischem Garten und Haus alles Untere zu oberst gekehrt, aber mir ist nicht bekannt, ob je jemand Schätze gefunden hat, ich vermute aber, dass sich Drakos sich das würdelose Treiben verschmitzt von oben angeguckt hat.