Vipera lebetina
Die Vipera lebetina heißt wissenschaftlich nun doch nicht so, sondern Macrovipera schweizeri. Sie kommt nur auf Milos, Kimolos und Poliegos vor und ist eine Schlange, die unserer deutschen Kreuzotter ähnelt. Aber auch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Einmal, vor vielen Jahren, als mein Freund Andreas noch ein junger Bauer mit Tomaten- und Melonenfeldern hinter der Gurnada-Bucht war, luden wir zusammen auf seinen Trecker-Anhänger Wassermelonen, die er vorher geerntet und auf einen großen Haufen gelegt hatte. Darin hatte die Vipera sich versteckt und war mit Recht erschrocken, als wir ihr die schützenden Melonen nahmen. In ihrer Angst wehrte sie sich, riss ihr Maul auf und versenkte ihre beiden Oberkiefer-Eckzähne in meinen rechten Fuß, an dem ich nur Plastikpantoffeln trug, und machte sich eilig davon.
Andreas sprang ihr hinterher, um sie zu strafen, wahrscheinlich, um sie totzuschlagen, wie man das hier so macht. Glücklicherweise hörte er damals noch mehr auf mich und saugte auf mein Verlangen Sekunden nach dem Biss schon an den zwei deutlich sichtbaren Bisslöchern. Die Schlange entkam.
Ich selbst lief panisch und voller Angst in 5 Minuten nach Hause, grub irgendwo eine Rasierklinge aus und schnitt kreuz und quer um die Bissstelle tief in meinen Fuß. Es blutete nicht schlecht. Dann fuhr mein Freund Arjon mich im Auto mit Höchstgeschwindigkeit nach Plaka, wo wir den Allgemein- und Kinderarzt Mimikos kannten. Dieser holte Spritzenzylinder mit atemberaubend dicken Kanülen heraus, bohrte sie ein paar Mal tief in meinen Fuß und saugte Blut ab. Man hält ja einiges aus in Angst und Stress. Es schmerzte sehr, aber ging eben doch.
Dann rief er beim Hafenamt in Adamas an, wann das nächste Schiff führe, ich müsse nach Athen! Glücklicherweise war eines im Hafen und im Begriff abzulegen. Es mußte warten und wir rasten den Berg nach Adamas hinunter.
Ich war also auf dem Schiff, in Badehose und Unterhemd, barfuß und ohne eine Drachme. Glücklicherweise fand sich bald ein Bekannter aus Pollonia, der mir ein Ticket kaufte, noch etwas Geld lieh und auch noch ein Paar alte Sandalen entbehren konnte.
War ich nun gerettet? Die Schiffsfahrt dauerte viele Stunden, Zeit genug, um über mein Schicksal nachzudenken. Der Fuß schmerzte zwar, wurde auch dicker, aber es war auszuhalten und je länger die Reise dauerte, desto mehr wuchs die Hoffnung, daß es nicht meine letzte sein würde. Das Schiff erreichte spät nachts Piräus und ich fuhr mit einem Autobus zu dem vom Mimikos bezeichneten Krankenhaus. Dort bekam ich auch bald einen Arzt zu sehen inmitten dieses Chaos aus Weinenden, Blutenden, Sterbenden. Er fragte kurz, was mir zugestoßen war und ich berichtete. Nachdem er erfahren hatte, daß das Ganze schon 12 Stunden her war, schickte er mich einfach wieder nach Hause, nicht ohne mir noch eine Tetanus-Spritze zu verabreichen.
Später habe ich erfahren, dass ich und alle Beteiligten fast alles falsch gemacht haben. Dennoch ging es gut aus und es gab bei mir keine starken Bisswirkungen.
Bei Immo kann man sich auf den aktuellen Stand des Wissens über unsere Schlangen bringen und auch er bestätigt meine Erfahrung, dass es unsere Milos-Vipern in beige, bräunlich und rötlich gibt. Sie sind eher kurz, aber kräftig (milos-greece.com/vipera-lebetina.html). Sie stehen seit langem unter Naturschutz und ihr Biss ist für Menschen zwar schmerzhaft, nicht aber tödlich. Das wußte ich aber damals nicht so genau.
Für die, die sich für Schlangen interessieren, hätte ich einen guten Tipp, wo man sie zu Gesicht kriegen kann. In den 70er und 80er Jahren kamen regelmäßig Schlangenfänger aus Deutschland und Österreich, um milos-ansässigen Reptilien wie der Viper, aber auch anderen Schlangen, Skorpionen und Smaragdeidechsen nachzustellen. Milosvipern brachten bei Liebhabern damals in Deutschland 200-300 DM und ich habe einmal jemand kennengelernt, der u.a. 25 Vipern gefangen hatte, von denen er aus seinen Leinensäcken eines Tages einige vor Lulukas Kafenion auf der Straße frei ließ, zum Entsetzen der Leute, sie aber, mit einem langen Lederhandschuh bewehrt, ohne weiteres wieder einfing. Sie wurden auf dem Bahnwege nach Deutschland transportiert und kamen auch - so wurde erzählt - überwiegend lebendig an.