Eine ungewöhnliche Klassenreise
1967 ging die Reise einer 12. Klasse der Rückertschule in Berlin-Schöneberg in die Ägäis. Eine Reise von der Insel Berlin zur Insel Milos, angesetzt auf fast 5 Wochen, wobei ein Teil der Sommerferien und eine besondere Klassenkasse herhalten mußte. Weder vorher, noch danach hat es je eine derart lange Klassenreise einer Berliner Schule gegeben.
Ein so ungewöhnliches Projekt verlangte einen besonderen Lehrer. Rudi Segeletz war so einer. Er hatte sich mit einem jungen Mann aus Milos angefreundet, der - in Berlin zu Besuch - von seiner Insel geschwärmt hatte. Rudi ließ sich anstecken und konnte diese Begeisterung auch auf die Schüler übertragen und sie und ihre Eltern für das Klassenreise-Projekt gewinnen. 15 Jugendliche und 3 Lehrer machten sich auf den Weg.
Durch die "Zone" ging es mit dem Bus nach München, wo der Akropolis-Express nach Athen abfuhr. 2 Tage und 2 Nächte. Liegewagen, Verpflegung im Zugrestaurant war gebucht. Ab Jugoslawien allerdings wurde es eng im Zug. Denn es stiegen neben großen Fahrgastmengen auch Tiere zu, (Birgit behauptet, auch Esel seien darunter gewesen) neben Waren aller Art und Umzugsgut. An ein Durchkommen zum Speisewagen war nicht mehr zu denken. Und Hunger kann nicht nur mutig, sondern auch erfinderisch machen. So wurden die häufigen Zughalts auf freier Strecke von Lehrer Rudi und seinen Schutzbefohlenen genutzt, um - neben den Gleisen laufend - an die Futtertröge zu eilen. Was wäre gewesen, wenn der Zug sich in eben diesen Momenten in Bewegung gesetzt hätte... Später, als Rektor der Sophie-Scholl-Gesamtschule, hat Rudi eingeräumt, dass er jeden Lehrer, der sich so verhalten hätte, selbstverständlich disziplinarisch belangt hätte...
Von Athen aus gab es dann das obligatorische Griechenland-Kulturprogramm per Bus. Schiffsverbindungen nach Milos gab es selten, nie mehr als zweimal die Woche. Schließlich brachte das Motorschiff Marilena Rudi und seine Klasse nach langer Seereise mit etlichen Stopps an ihr Ziel: Adamas, Milos. Dort begann dann richtiger Urlaub mitsamt gründlicher Erkundung nicht nur der Insel, sondern auch seiner jugendlichen männlichen Bewohner. Für die Mädchen wenigstens. Es gab drei Jorgosse, die sehr schön zusammen Chassapiko tanzten und damit zu beeindrucken wussten, von denen einer später Reeder, einer Hotelier und einer Physiotherapeut wurde. Letzterer spielte gut Gitarre und sang auch sehr schön. Bis 2010 war er viele Jahre Bürgermeister der Insel Milos.
Auch wurde fleißig die Sprache gelernt und es war Walter, der das griechische "Gutenacht" ins Deutsche übersetzte. Noch heute scheiden wir abends mit einem vertrauten "Kein Licht da" voneinander.
Die Klassenreise hatte Folgen. Nicht nur, daß Birgit immer noch gerne harte Eier mit Honig zum Frühstück isst, wie sie es damals dort kennengelernt hatte. Eine der deutsch-griechischen Liebesgeschichten mündete in Verehelichung. Lehrer Rudi wurde in Tripiti ansässig, zunächst nur während der Schulferien, nach seiner Pensionierung dauernd. Seine Tochter Katerina - all ihre Sommerferien dort - heiratete schließlich einen Milonesen und ist heute eine erfolgreiche Geschäftsfrau auf der Insel. Birgit kam 1996 nach langer Zeit mal wieder nach Milos, um ihren Lehrer zu besuchen, und er nahm sie mit nach Pollonia, wo bei einem gewissen Christian Fischer das berühmte Lochfest gefeiert werden sollte...